Wird bei einer Atomkatastrophe die Kreisstadt Holzminden nicht mehr evakuiert?

Grüne kritisieren Katastrophenschutzplan für den Landkreis als unzureichend

Weserbergland. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima sollte der Katastrophenschutz auch für deutsche Atomkraftwerke erneut auf den Prüfstand. Im Landkreis Holzminden liegt dazu jetzt der Anschlussplan zum Katastrophenschutzsonderplan für das Atomkraftwerk Grohnde aus. Er soll die Planungen im nicht auszuschließenden Fall eines atomaren Störfalls mit radioaktiver Verseuchung der Region Weserbergland konkretisieren.  Was passiert bei einer Atomkatastrophe? Wer wird wohin evakuiert und was ist mit verstrahlten Menschen und Tieren im Katastrophenfall? Damit beschäftigten sich jetzt auch die Grünen im Landkreis. Der Fraktionsvorsitzende im Kreistag und Landtagsabgeordnete Christian Meyer hat ihn zusammen mit Umweltexperten durchgearbeitet. Meyer begründet es so: „Der Schutz der Bevölkerung vor Katastrophen braucht volle Transparenz und hohe Aufmerksamkeit. Eine atomare Kernschmelze ist etwa durch einen Flugzeugabsturz oder Brand auch bei uns jederzeit möglich“. Außerdem haben die Grünen im Kreis für eine bessere Öffentlichkeit gesorgt.

Ursprünglich sollte der neue Katastrophenschutzplan nur in den Sommerferien in der Verwaltung ausliegen. Auf Initiative der Grünen im Kreistag wird die Auslegungsfrist aber nun bis zum 7.9.2012 verlängert und der Plan wurde auch ins Internet auf den Seiten des Landkreises veröffentlicht. Die Grünen begrüßen die „bessere Bürgerfreundlichkeit in der Sache“ und erinnern an die diesbezüglichen rot-grünen Kreistagsbeschlüsse zum Katastrophenschutz, für Erneuerbare Energien und zur schnellen Abschaltung des Atomkraftwerks Grohnde zum Schutz der Menschen im Landkreis. Der 113-Seiten umfassende detaillierte Plan ist neben der Internetseite auch ausgelegt bei der Kreisverwaltung, Bgm.-Schrader-Str. 24, Holzminden und kann während der Öffnungszeiten Montag 08:00 – 15:00 Uhr und Freitag 08:00 – 12:30 Uhr eingesehen werden.

Besonders stört die Grünen, dass nach bundesweiten Vorgaben nur noch ein Umkreis von 10 km um das AKW evakuiert werden soll. Dabei kann die maximal verstrahlte Region durch die radioaktive Wolke nach vielen Untersuchungen nach Tschernobyl zwischen 11 und 45 km Entfernung vom AKW liegen. “Das hängt von der Windrichtung ab und kann im schlimmsten Fall natürlich auch die Kreisstadt Holzminden in 23 km Entfernung betreffen. Trotzdem gibt es keine konkreten Planungen wie Sammelpunkte für die Evakuierung dieses Bereichs”, kritisierte der Grüne.

Die geplante Zwangsevakuierung im Katastrophenfall betrifft im Landkreis Holzminden daher nur Bodenwerder, Ottenstein, Hehlen und Heyen, die in der 10 km Zone liegen. Diese insgesamt 9000 Flüchtlinge aus dem Nordkreis sollen dann überwiegend innerhalb des Landkreises in die weniger verstrahlten Gebiete gebracht werden. Es wird damit gerechnet, dass sich im Katastrophenfall die Hälfte der Bevölkerung selbst in Sicherheit bringt und nicht abgeholt werden muss. Im Plan heißt es: „Bei der Einleitung von Evakuierungsmaßnahmen ist davon auszugehen, dass ein bestimmter Teil der Bevölkerung das gefährdete Gebiet mit eigenen Fahrzeugen verlassen wird (Selbstevakuierer). Die Anzahl der Selbstevakuierer wird aufgrund der vorhandenen Kraftfahrzeuge mit mindestens 50 % angenommen.“ Anschließend werden auch genaue Routen und Evakuierungspunkte in den einzelnen Gemeinden aufgeführt und Stellen wo die Polizei Straßensperrungen vornehmen soll, damit niemand in die verstrahlten Gebiete gelangt. Kinder sollen direkt aus Schule und Kindergarten „in die Aufnahmebereiche evakuiert“ werden.

In der Kreisstadt Holzminden sollen nicht nur Flüchtlinge aufgenommen werden. In der Sporthalle des Schulzentrums Liebigstraße ersatzweise in der Sporthalle Billerbeck soll die zentrale Dekontaminationsstation für „von radioaktiven Auswirkungen“ betroffene Menschen eingerichtet werden. „Im kontaminierten Gebiet werden nur lebensbedrohliche Zustände versorgt“, heißt es detailliert im Plan. Auch für Krankentransporte mit radioaktiv Verseuchten werden genaue Vorschriften gemacht. Bei bestimmten Grenzwerten des Verstrahlten soll sich etwa der Krankenpfleger im Fahrerhaus und nicht am Begleitersitz des Kranken aufhalten. Auch solle möglichst immer nur ein Verstrahlter abtransportiert werden. Die Zahl der Messungen vor und nach Durchzug der radioaktiven Wolke durch den Landkreis werden ebenfalls beschrieben. Im Landkreis Holzminden gibt es jedoch keine stationäre Strahlenmessstation, so dass auf mobile Geräte ausgewichen werden muss, wobei sich die Messpersonen aber nicht in Gefahr bringen dürfen. Auch der Frage ob Haustiere mitevakuiert werden oder bei zu großer Strahlenbelastung getötet werden, widmet sich der Plan.

Zusätzlich gibt es Merkblätter für die Bevölkerung bei Durchzug der radioaktiven Wolke, wenn keine Evakuierung mehr möglich ist. Darin werden die Kreiseinwohner „aufgefordert, umgehend Häuser aufzusuchen sowie Fenster und Türen zu schließen.“ Beim Betreten des Hauses soll die getragene Oberbekleidung und Schuhe abgelegt und außerhalb des Hauses gelagert werden. Kinder sollen nicht mehr im Freien spielen und kein frisch geerntetes Obst oder Gemüse verzehren.

„Das ließt sich schon wie ein böser Alptraum“, sagte Christian Meyer nach dem Lesen der Unterlagen erschüttert. „Das darf nie passieren”, sagt der überzeugte Atomkraftgegner. “Für die Menschen bei Tschernobyl und Fukushima ist ein solches Szenario real und auch bei uns jederzeit möglich.“ Die Grünen fordern daher eine umgehende Abschaltung des Atomkraftwerks Grohnde. „Das ist der beste Schutz für die Bevölkerung.“ Außerdem kritisieren sie die Verengung der Evakuierungsmaßnahmen auf den Nordkreis. „Strahlung kennt keine Grenzen. Nach einer Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz ist von einem weit höheren Evakuierungsradius als 10 km um ein AKW auszugehen. Hier muss Katastrophenschutzminister Schünemann nachbessern. Dass Teile der Flüchtlinge in den Südkreis evakuiert werden sollen, leuchtet den Grünen auch nicht ein, da dort die Strahlung dann ebenfalls noch hoch sei. Außerdem sei es auch sehr stark vom Wetter und Ausmaß der Katastrophe abhängig wie hoch und wie stark die verstrahlten Gebiete sind. Die Grünen forderten daher auch weiterhin Evakuierungspläne für die Kreisstadt und die umliegenden Orte im 30 km Radius wie Polle, Kirchbrak, Bevern, Eschershausen und Stadtoldendorf vorzubereiten. 

Auch reiche es nicht einfach Jodtabletten zu geben. Nach dem Katastrophenschutzplan ist bei „einem Reaktorstörfall die Bevölkerung des verstrahlten Gebietes mit radioaktiven Isotopen strahlenbelastet. Dazu hält der Landkreis 150.000 Tabletten im Kreishaus in Bereitschaft. „Im Bedarfsfall sind sie von dort an die Bedarfsträger zu verteilen.“ Menschen über 45 Jahren sollen jedoch keine Jodtabletten mehr bekommen. Ein weiteres Problem ist, dass sich zuwenig Ärzte im Landkreis vom Gewerbeaufsichtsamt Hannover als ermächtigte Strahlenschutzärzte weiterbilden lassen.

Die Grünen wollen daher für Verbesserungen am Katastrophenschutz eintreten, werden aber auch grundsätzlich. Christian Meyer: „Der Weiterbetrieb der atomaren Risikokraftwerke ist unverantwortlich. Der Landkreis Holzminden wäre im schlimmsten Fall eine verstrahlte, menschenleere Sperrzone. Deshalb gilt es die Energiewende für Erneuerbare Energien zu beschleunigen.“

 

Der Katastrophenschutzplan ist online einsehbar unter: http://www.landkreis-holzminden.de/pics/medien/1_1343730537/Anschlussplan_Katastropenschutzsonderplan_KKW_Gronhde.pdf
Dort könnten auch Bilder etwa die Skizze der Dekontaminationsstation in der Sporthalle Liebigstraße übernommen werden.

zurück

Christian Meyer

Helge Limburg

Britta Kellermann

GRUENE.DE News

<![CDATA[Neues]]>