"Kinderarmut geht alle an!"

Podiumsdiskussion der Grünen zu Hartz IV und die Folgen für Kinder

Stadtoldendorf. Eine Zahl prägte die Podiumsdiskussion der Grünen mit den sozialen Wohlfahrtverbänden zur aktuellen Hartz IV-Debatte: 44,6 % der Kinder unter 6 Jahren in Stadtoldendorf wachsen in Armut auf. Das ist der höchste Wert im Landkreis Holzminden, wie ein Bericht der Kreisverwaltung zeigt. Der Landesschnitt liegt bei knapp über 20 % wies darauf wies die extra nach Stadtoldendorf gekommene stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen und kinderpolitische Sprecherin Miriam Staudte hin.
"Fast jedes zweite Kind wächst in Armut auf", diese Aussage erschüttert. Welche Perspektiven und Bedürfnisse haben diese Kinder und was kann man dagegen tun? Diese Fragen prägten die rege und gute besuchte Podiumsdiskussion der Bündnisgrünen unter der Leitung des Landtagsabgeordneten Christian Meyer. Hans-Gerhard Deike vom Sozialverband Deutschland (SoVD) wies auf die Schikanen für Hartz IV-Empfänger in Bedarfsgemeinschaften mit vielen Kindern hin, die oft um ihre Rechte gebracht werden, weil sie den Paragraphendschungel nicht durchschauen können. Daher sei eine gut ausgestattete Beratung der Sozialverbände so wichtig. Er kritisierte den derzeitigen Hartz IV Satz für Kinder als verordnete Kinderarmut und forderte die Anhebung auf 500 Euro um ein menschenwürdiges Leben gewährleisten zu können.
Die Landtagsabgeordnete Miriam Staudte von den Grünen erläuterte die Entscheidung der Bundesregierung das Geld für Kinder nicht zu erhöhen und Erwachsenen eine Erhöhung um gerade mal 5 Euro zu gewähren:"Obwohl das Verfassungsgericht die Sätze für falsch berechnet gehalten hatte, wurden mit Rechentricks von CDU und FDP die Armen noch Ärmer gemacht. Das ist ein Skandal!" So wurde laut Staudte als Vergleichsgruppe nicht mehr das Konsumverhalten der untersten 20 %, sondern der untersten 15 % der Bevölkerung herangezogen. Außerdem fehle ein Mindestlohn um das Lohnabstandsgebot zu sichern. "Kinder bekommen 2,54 € pro Tag für das Essen, wie das gesund und ausgewogen erfolgen soll, ist mir schleierhaft", fragte Staudte und forderte eine eigenständige Kindergrundsicherung mit bedarfsgerechten Sätzen.
Ulrike Waikling von der Diakonie Holzminden-Bodenwerder berichtete über Probleme bei den Fahrten für Auszubildende. Ein Sozialtopf für besondere Notlagen wäre überfällig und verwies auf das CHA(I)Rity - Projekt, den Kinder- und Jugendhilfsfonds des Kirchenkreises Holzminden-Bodenwerder. Teilhabe von Kindern am gesellschaftlichen Leben, an Sportvereinen, Musik, Kino und Klassenfahrten zu gewährleisten, sei existenziell für eine soziale Gesellschaft. Der Kreistagsabgeordnete Peter Ruhwedel lobte das Jugendamt des Landkreises für seine kontinuierliche Armutsberichterstattung. "Kinderarmut geht uns alle an", appellierte er auch an seine Kreistagskollegen vor der dramatischen Entwicklung nicht wegzuschauen und forderte einen Runden Tisch, an dem Kinder- und Jugendhilfe, Soziale Dienste, Wohlfahrtsverbände, Schulen und Politik gemeinsam weitere Möglichkeiten ausloten sollten, um sinnvolle Hilfen zu organisieren. Über kostenlose Mittagessen für Geringverdiener in Kindergärten und Schule, kommunale Bildungsfonds, Notfallhilfen und einen Sozialpass müsse man nachdenken.     
Aus dem Publikum wurde auch die Frage der mangelnden Kinderkrippen im Kreis intensiv kritisiert. Nach Studien bildet der Landkreis das bundesweite Schlusslicht bei der Betreuung der Unter-Dreijährigen. "Niedersachsen tut insgesamt viel zu wenig für die frühkindliche Betreuung", sagte Staudte und verwies auf Zahlen wonach das Land bundesweit am wenigsten in die Betreuung von Kindern investiert. Die Grünen wollen den Solidaritätszuschlag in einen Bildungsoli umwandeln, um gezielt in Kindergärten und Schulen investieren zu können.
Alle auf dem Podium waren sich einig, dass die steigende Kinderarmut nicht hingenommen werden darf, sondern mit unterschiedlichen Maßnahmen für eine gerechte Grundsicherung, Perspektiven und Bildung gesorgt werden muss. Zur Finanzierung wurde gefordert Steuerhinterziehung stärker zu bekämpfen und den Spitzensteuersatz wieder zu erhöhen. Außerdem solle das Ehegattensplitting in eine Förderung von Kindern umgebaut werden. "Wir wollen Kinder fördern und nicht die Institution Ehe", sagte Staudte.
Mit Blick auf die Zahl 44,6 % Kinderarmut in Stadtoldendorf meinte der Fraktionsvorsitzende im Kreistag Christian Meyer abschließend, die Politik vor Ort und im Kreis muss sich klare, überprüfbare Ziele setzen daran etwas zu ändern: "Wer die Hände in den Schoss legt oder eine menschenwürdige Hartz IV-Erhöhung wie die Bundesregierung verweigert, sorgt nicht nur für sozialen Unfrieden, sondern nimmt einer ganzen Generation von Kindern die Chancen und Perspektiven für die Zukunft."

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